Antioxidanzien – lebenswichtig, aber oft überschätzt

Freie Radikale haben einen schlechten Ruf, denn sie können unseren Körper unter Stress setzen, ihn krank machen und altern lassen. Kein Wunder, dass Antioxidanzien als Gegenspieler ein großes Interesse erfahren. Sie sollen Alterungsprozesse verzögern und Krankheiten entgegenwirken, werden zum Teil sogar als „Wunderwaffen“ angepriesen. Aber stimmt das, und brauchen wir Nahrungsergänzungsmittel mit Antioxidanzien?

Tatsächlich kommt Antioxidanzien eine lebenswichtige Bedeutung zu. Doch wie so oft, stellt sich das Thema aus wissenschaftlicher Sicht nüchterner und differenzierter dar. So sind Antioxidanzien weit mehr als die Vitamine „A, C, E“.  Es handelt sich hier um eine große und vielfältige Substanzgruppe. Manche werden von außen zugeführt, viele bildet der Körper aber auch selber. Doch zunächst noch einmal zu den freien Radikalen.

Freie Radikale sind Moleküle, die ein ungepaartes Elektron in der äußeren Schale haben und sehr reaktiv mit anderen Molekülen interagieren. Sie entreißen diesen ein Elektron und oxidieren diese Moleküle. Sie entstehen durch exogene Substanzen und Umwelteinflüsse – z.B. UV-Strahlung, Röntgenstrahlung, kosmische Strahlung (Flugverkehr), Luftverschmutzung (Ozon, Stickoxide, verschiedene Stäube), Medikamente und Industriechemikalien. Weniger bekannt ist, dass sie auch in unserem Stoffwechsel entstehen, zum Beispiel bei der Energiegewinnung durch Verbrennung von Nährstoffen. Sie kommen auch in verschiedenen Zellen der Immunabwehr vor. Diese geben bei Entzündungsprozessen reaktive Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen zur Vernichtung von Krankheitserregern ab. Das ist so gewollt und (über)lebenswichtig – freie Radikale erfüllen also auch wichtige Funktionen und haben durchaus ihre guten Seiten.

Zum Problem werden sie dann, wenn es zu einem Ungleichgewicht zwischen diesen reaktiven Verbindungen (Prooxidanzien) und Antioxidanzien kommt – man spricht in diesem Zusammenhang auch von oxidativem Stress. Dieser wird mit verschiedenen Erkrankungen und Alterserscheinungen in Verbindung gebracht – die genauen Mechanismen sind kompliziert und noch nicht vollständig erforscht. Oxidativer Stress kann sowohl durch vermehrte Bildung von Prooxidanzien als auch durch Verlust an Konzentration oder Aktivität von Antioxidanzien hervorgerufen werden. Antioxidanzien sind in der Lage, als „Radikalfänger“ einen oxidativen Schaden an einem Molekül zu verzögern oder zu verhindern. Das funktioniert in der Regel sehr gut und ohne unser Dazutun.

Schließlich waren Lebewesen schon seit etwa 1,5 Milliarden Jahren oxidativem Stress ausgesetzt – noch bevor sich unsere heutige Atmosphäre ausbildete! So haben sie im Laufe der Evolution eine große Anzahl von Schutzmechanismen gegen seine schädlichen Wirkungen entwickelt. Davon profitieren wir heute: Unser Körper kann reaktive Substanzen inaktivieren, deren Bildung vermindern und sogar durch sie verursachte Schäden reparieren. Und wenn das im schlimmsten Fall alles nicht mehr hilft, werden stark geschädigte Zellen durch programmierten Zelltod (Apoptose) außer Gefecht gesetzt. Insgesamt stehen dem Körper eine Vielzahl antioxidativ wirksamer Komponenten, zur Verfügung – selbst gebildete und von außen zugeführte. Gemeinsam bilden sie ein effektives antioxidatives Netzwerk.

Antioxidanzien – lebenswichtig, aber oft überschätzt

© Alexander Raths/stock.adobe.com

Was können wir tun, um oxidativen Stress zu vermeiden und das Gleichgewicht zwischen Pro- und Antioxidanzien zu fördern?

  • Reichlich Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst und Vollkornprodukte in den Speiseplan einbauen. Denn diese liefern uns antioxidative Nährstoffe (Vitamine A, C, E, K, Mineralstoff Selen) und so genannte sekundäre Pflanzenstoffe, von denen einige antioxidativ wirksam sind (z.B. Carotinoide, Phenolsäuren, Glucosinolate und Sulfide).
  • Wenig Fleisch essen (eine zu hohe Eisenzufuhr und tierische Fette begünstigen nach Meinung von Wissenschaftlern oxidativen Stress).
  • Pflanzliche Öle und daraus hergestellte Streichfette bevorzugen, versteckte Fette vermeiden.
  • Mit Zucker gesüßte Lebensmittel und Getränke vermeiden und Zucker sparsam verwenden (ein hoher Blutzuckeranstieg nach dem Essen fördert oxidative Prozesse).
  • Wenig Alkohol aufnehmen (Alkohol induziert oxidative Schäden, vor allem in der Leber).
  • Nicht rauchen (Tabakrauch enthält eine Vielzahl an Substanzen, die direkt oder indirekt oxidative Prozesse im Körper auslösen).
  • Jeden Tag 30 bis 60 Minuten in Bewegung sein („moderate körperliche Aktivität“ stimuliert körpereigene antioxidative Enzyme und fördert ein Gleichgewicht zwischen Pro- und Antioxidanzien).
  • Genug schlafen und entspannen, damit der Körper Zeit und Gelegenheit für die Reparatur oxidativer Schäden hat.
  • Soweit möglich, eine erhöhte Exposition gegenüber UV, Ozon, Stäuben usw. vermeiden.

Es gibt also gleich mehrere Stellschrauben, an denen wir selber drehen können, und das ohne Kapseln und Pulver. Bislang ist übrigens nicht bewiesen, dass isolierte Antioxidantien in Form von Nahrungsergänzungsmitteln vor Krankheiten wie Arteriosklerose, Herz-Kreislauferkrankungen, Arthritis oder Krebserkrankungen schützen oder Alterungsprozesse aufhalten. Vielmehr können antioxidative Stoffe in isolierter Form bei zu hoher Dosierung sogar eine negative Wirkung haben.

Wer dennoch über die normalen Lebensmittel hinaus Antioxidanzien ergänzen möchte, sollte genau auf die Dosierung achten. „Viel hilft viel“ ist hier die falsche Devise! Umfangreiche und wissenschaftlich abgesicherte Informationen zu Nahrungsergänzungsmitteln bietet die Seite „Klartext Nahrungsergänzung“ der Verbraucherzentralen: www.klartext-nahrungsergaenzung.de

Fazit:

Vieles spricht dafür, auf eine ausreichende Zufuhr von Antioxidanzien zu achten, damit unser Körper mit oxidativem Stress besser fertig wird. Aber wir brauchen uns in der Regel keine isolierten Antioxidanzien zuzuführen, schon gar nicht in hohen Dosen. Denn unser Körper bildet selbst zahlreiche Antioxidanzien, andere führen wir über herkömmliche automatisch Lebensmittel zu. Eine ausgewogene Ernährung im Sinne der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln-der-dge/?L=0 und ein insgesamt gesunder Lebensstil sind die beste Vorsorge. Und falls aufgrund von Erkrankungen oder besonderen Belastungen doch mehr erforderlich sein könnte, empfiehlt sich eine ärztliche und ernährungstherapeutische Begleitung.

Lesetipp: Einen ausführlichen Artikel „Wundermittel Antioxidanzien?“ von mir gibt es in der Fachzeitschrift „Ernährung im Fokus“ (Ausgabe 07-08 2018, www.bzfe.de/ernaehrung-im-fokus/)

Das könnte Sie auch interessieren:

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert